Es war einmal eine beleidigte Leberwurst…

Juli 2013

Es ist ultraschwül im Studio. Freitag später nachmittag, noch fünfzehn Minuten bis Sendungsbeginn. Ich baue den Rechner auf, verkabele alles was zu verkabeln ist, checke die Regler, mache Soundcheck und schaue zwischendurch immer wieder auf die Uhr. Zehn vor sechs, von meinem Kollegen noch nichts zu sehen. Ich ärgere mich darüber, wie leicht er es sich macht. Der lässt mich immer alles alleine vorbereiten, kommt dann meistens erst fünf vor und schafft es gerade so, seine Musik zu ordnen. Beschweren kann ich mich darüber nicht wirklich, da wir eh keinen Cent dafür kriegen. Der Sender ist so miniklein, dass er nichts abwirft und die paar Spenden reichen gerade so, um die laufenden Kosten zu decken. Davon abgesehen, hört der Kollege sowieso nicht zu. Mir jedenfalls nicht. Drecksack. Aber um den soll es heute nicht gehen, obwohl die Überschrift auch auf ihn zutrifft.

Ich höre ein Ping in meiner Tasche, krame das Handy raus. Der werte Herr Kollege sagt, es würde noch 5 Minuten dauern. Alles klar, also mindestens zehn. Heißt im Klartext, ich muss das Intro selber machen. Na ja. Ist nicht das erste Mal.

Um Punkt sechs fahr ich also die Intromucke ab, begrüße die Hörer und ballere den ersten Track rein, durch die Scheibe sehe ich draußen den Herrn Kollegen mit zwei Typen ankommen. Er gestikuliert, und ich signalisiere per Handzeichen, dass die Musik läuft, die Mikros aus sind und er jetzt rein kann. Ich lasse mir vor den Studiogästen (eine Band, bestehend aus zwei Brüdern plus Drummer, aus Bogotá/Kolumbien) natürlich nicht anmerken, dass ich meinen Kollegen für eine unprofessionelle Arschnase halte, sondern ziehe die Sendung durch. Die Musiker, Eduardo und Enrique, plus Gilberto dem Drummer, sind lustig und schlagfertig, die Sendung macht richtig Spaß. Sie spielen ein wirklich gelungenes Liveset, und wir gehen hinterher noch gemeinsam ein Bier trinken. Ich muss mir eingestehen, dass ich beide Brüder richtig hot finde, den Älteren ein klein bisschen hotter, den Jüngeren dafür aber… zutraulicher.

Einen Tag später ist Partytime. Unser Kollektiv ist in der altbekannten Location am Start und es wird ziemlich schnell ziemlich voll, und ultraschwülwarm. Die Luft kann man schneiden, aber diesmal macht das Spaß. Manchmal ist das auch richtig scheiße, wenn man die Luft schneiden kann, aber heute stört es mich nicht, denn ich werde von dem Jüngeren (Enrique) heftig umgarnt.
Als ich mein Set fertig habe (das erste von zweien in dieser Nacht) hole ich mir ein Alster an der Bar und Enrique kippt einen Tequila. Da wir eh gerade in einer dunkleren Ecke stehen, bietet es sich an, ein bisschen rumzumachen. Meine letzte Nummer ist schon etwas her, also muss er mich nicht groß überzeugen, außerdem küsst und schmeckt er gut. Er ist allerdings – zumindest hat es den Anschein – einer dieser Menschen, die von Natur aus schon etwas hibbelig sind, und die dann unter Umständen anstrengend werden, wenn sie Alkohol trinken.

Jedenfalls schlägt er vor, gleich zu gehen. Ich erkläre ihm, dass das nicht geht, da ich ja in zwei Stunden noch ein Set spiele, wir also frühestens in drei Stunden gehen können. Er zieht eine Fläppi und ich lache ihn aus. Ich sehe einen Kumpel im Getümmel und sage Enrique, dass ich jemandem Hallo sagen möchte. In diesem Moment gesellt sich Gilberto zu uns, ich entschuldige mich und verschwinde in der Masse. Das mit dem Kumpel stimmt übrigens wirklich, bei dem bin ich dann die nächste Stunde kleben geblieben.

Irgendwann ist es dann Zeit für mein zweites Set, Enrique habe ich schon eine Weile nicht mehr gesehen. Ist wahrscheinlich gegangen, denke ich mir und fange an zu spielen. Juckt mich nicht wirklich, ob der hier ist oder nicht, auch wenn er küssen kann.

Die Tanzfläche hat sich etwas geleert, beim zweiten Track des Sets habe ich sie aber wieder, es gibt Szenenapplaus (so nenne ich das, wenn sie sich über ein bestimmtes Lied besonders freuen) und der Vibe ist unfassbar gut. Der Herr Radiokollege ist auch da, er ist – vermutlich nicht ganz freiwillig – in ein Gespräch mit seiner aktuellen Perle vertieft und schaut grießgrämig aus der Wäsche. Seine Angebete steht kurz vor der Niederkunft, Tochter Nummer 3 von Mutter Nummer 3, höchstwahrscheinlich fordert sie ein bisschen mehr Engagement von ihm ein. Die Vermutung liegt nahe, da er sich bei mir immer darüber beschwert, dass sie ihm auf den Sack geht und seine Freiheit beschneidet. Ich vermute allerdings eher, dass sie eigentlich bloß verlangt, dass er für das Kind gerade steht.

Egal. Ich spiele eines der besten Sets, an das ich mich erinnern kann, und während der letzte Track läuft – Kollege Paulchen Panther hat schon aufgebaut und ist bereit, zu übernehmen – steht auf einmal Enrique vor der Konsole und winkt mir vergnügt zu. Scheinbar ist er wiedergekommen oder er war nie weg, sicher ist nur eins: in der Zwischenzeit hatte er definitiv ein paar mehr Tequila ins Spiel gebracht. Der hat Minimum vier von fünf Lampen an und feiert sein Leben. Ich beschließe, mitzufeiern, denn auch ich hatte während des Sets das eine oder andere weitere alkoholische Getränk zu mir genommen.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, machen wir noch ein bisschen auf der Tanzfläche rum, bevor ich dann meine Sachen packe und uns gegen 5:00 ein Taxi rufe. Er ist schon lustig, aber auch, wie ich befürchtet hatte, etwas anstrengend. Er redet ohne Punkt und Komma. Wer mich kennt, weiß, dass ich das selbst gern tue, und wenn ich mich darüber beschwere, dann ist das bei der betreffenden Person schon als pathologisch einzustufen. Doch ich bin angetrunken genug und kann es ignorieren.

Bei mir zu Hause fackeln wir dementsprechend auch nicht lang, und es ist gar nicht schlecht, wenn man bedenkt, wieviel Alkohol letztlich im Spiel ist. Ich habe dann nämlich immer Angst vor den beiden Erscheinungsformen des Phänomens whisky dick: wenn ein Typ viel getrunken hat, bekommt er ihn ja bekanntlich entweder gar nicht mehr hoch, oder aber er bekommt ihn sehr wohl hoch, kann dann auch richtig lange, kann aber im wahrsten Sinne nicht zum Sch(l)uss kommen. Bei Enrique ist letzteres der Fall. Auf der einen Seite sehr positiv, da es, like I said, ein gewisses Stehvermögen zur Folge hat, auf der anderen Seite negativ, da nach 45 Minuten Action, mehreren Stellungswechseln und diversen Höhepunkten die ganze Angelegenheit irgendwann auch nicht mehr lustig, sondern eher lästig wird (Jungs, glaubt bitte nicht dieses Märchen, dass der Mann zwei Stunden durchrammeln können muss – 30 bis 60 Minuten intensiv und geil sind vollkommen ausreichend).

Also sage ich ihm, dass ich so langsam nicht mehr kann und der awkward moment bleibt dann zum Glück aus, denn er sagt: „Alles klar, passt, ich bin hundemüde.“ Spricht’s, dreht sich um und pennt ein. Nice and easy, denke ich, gehe auf’s Klo und lege mich dann neben ihn.

Nach vier Stunden werden wir wach und es ist eigentlich ganz nett. „Kaffee?“ frage ich und er bejaht.
Während dem Frühstück eröffnet er mir, mir vollem Mund und vollkommen beiläufig, dass er ja jetzt in einem Dilemma stecke. Da ich selbst den Mund voll habe und einigermaßen gut erzogen bin, hebe ich nur fragend die Augenbrauen. Er beginnt mit einer wortreichen Erklärung eines im Grunde genommen völlig simplen Sachverhalts, nämlich dem, dass er daheim in Bogotá eine Perle hat, und so schön es auch gewesen sei mit uns beiden (ich kann in diesem Moment ob des nachweislich im Spiel gewesenen Alkohols nur mühsam den Erstickungstod durch Lachanfall abwenden), er könne das in den nächsten zwei Wochen (dann fliegt er zurück) leider nicht wiederholen und es täte ihm furchtbar leid.

Mal abgesehen von der maßlosen Selbstüberschätzung, da er scheinbar denkt, er würde mein Herz brechen, wenn er nie wieder mit mir schläft (das finde ich eher lustig als ärgerlich), macht mich die Unterschlagung dieser in meinen Augen doch eher wesentlichen Information pissig. Nicht, dass ich mich rettungslos verknallt hätte und jetzt eifersüchtig wäre oder gleich nächste Woche aufs Standesamt rennen will, aber ich persönlich finde es toll, wenn ich selbst entscheiden kann, ob ich mich mit einem vergebenen Mann einlasse oder nicht.

Ich setze mein bestes couldn’t care less-Gesicht auf und sage ihm, dass ich sowas lieber vorher wüsste. Kein Scheiß, liebe Leser, ihm ist nicht klar, worauf ich hinauswill, also lasse ich es sein, rauche eine Tüte und gehe ins Bad. Unverschämterweise fragt er, was ich da mache, also sage ich: kacken. Danach sagt er erstmal nichts mehr.

Als ich aus dem Bad komme, sucht er grad seine sieben Sachen zusammen. Er fragt, ob ich ihm erklären kann, wie er nach Mitte kommt. Ich erkläre es ihm dreimal, ich schreibe es ihm auf, Schritt für Schritt. In seiner Muttersprache. Trotzdem ruft er nach 45 Minuten an und erzählt mir, er hätte sich verlaufen, ob ich ihm sagen könne, wo er wäre. Da wäre so ein hohes Haus und eine Bushaltestelle (I kid you not, dear readers). Ach da bist Du! möchte ich ihn verarschen, aber ich bin zu genervt. Das Universum meint es in dem Moment gut mit mir, denn ich höre, wie ihn Leute auf der Straße ansprechen, auf Spanisch. Ich rufe Alles klar, frag einfach die, wo Du bist! und lege auf.

In den nächsten Tagen treffen wir uns ein paar Mal, allerdings immer in Verbindung mit seinem Bruder und Gilberto, es läuft auch nichts mehr, (gar nichts, auch kein Knutschen), und das ist völlig in Ordnung. Spaß macht es trotzdem mit den dreien, und so schlug ich vor, dass sie ihren letzten Abend vor Abflug bei mir in Neukölln verbringen könnten, an dem Abend ist nämlich unser Hoffest.

Gesagt, getan. Nach dem Hoffest gehen wir gegen halb zwei nachts zu mir nach oben, gefühlte drei Tonnen Musikerequipment (die drei waren zum Einspielen ihres zweiten Albums nach Berlin gekommen), ein Fußball, den ich immer noch habe, und von dem niemand weiß, wo er herkommt und wir vier, angetrunken und lustig drauf. Für fünf Uhr früh ist das Taxi bestellt, also beschließen wir, durchzumachen.

Jam Session. Eduardo und ich Gitarre und Gesang, Enrique Percussion, Gilberto Cajón, Benjamin (ein Kumpel der drei) Klavier. Richtig geil. Um halb vier verlässt uns Ben, und die drei Jungs fangen auf einmal unisono an, zu gähnen. Eduardo schlägt vor, sich doch noch ein Stündchen hinzuhauen. Also klappe ich das Bettsofa im Wohnzimmer auseinander, damit er und Gilberto sich langmachen können, Enrique und ich verziehen uns nach nebenan. Ich hab nichts dagegen, mit dem nochmal das Bett zu teilen, mir ist ja klar, dass da nichts mehr läuft, in erster Linie, weil ich gar keinen Bock mehr auf den hab.

Enrique lässt sich komplett angezogen auf’s Bett fallen, einschließlich seiner Nike Hightops (fucking gross, I’ll have to change those sheets), ich gehe nochmal pinkeln, und als ich wiederkomme, schnarcht er bereits. Ist doch betrunkener als ich dachte… Na, umso besser, dann schläft er und labert nicht.

Ich bin gerade weggedöst, da bemerke ich seine Hand unter meiner Decke (er hat sich noch nichtmal zugedeckt). Er fängt an zu fummeln und ich checke es erst nicht. Letzer Abend-Wehmut, oder wie?
Dann sagt er: „Holst Du mir einen runter?“
Ich schiebe seine Hand weg und sage: „Nein.“
„Warum nicht?“ fragt er. „Keinen Bock.“ antworte ich einsilbig. Was bildet sich dieser Horst eigentlich ein? Irgendwie finde ich die Situation lustig.

Er lässt von mir ab, fängt aber gleich wieder an.
„Komm schon,“ bettelt er, „hol mir einen runter!“
Als wäre es das normalste der Welt. Ich sage nochmals, laut und deutlich: „NO.“

Und was er dann macht, ist mit das Lustigste, was mir im Bett so passiert ist. Also, lustig für mich.

Obwohl es dunkel ist, kann ich seine beleidigte Fläppi förmlich im Dunkeln leuchten sehen und nach meinem vehementen Nein dreht er sich extra vehement um, als wolle er mir mit diesem besonders theatralischen Umdrehvorgang (das war echt dramatisch, der Lattenrost wackelt quasi immer noch) zu verstehen geben, dass ich ihn zutiefst beleidigt habe.

Yeah, like I give a shit.

Das ist das Ende der Geschichte. Zusammenfassend:

IN YOUR FACE
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