Rastafahndung

Ich war ja selber mal so eine.
Was für eine denn?
Na, so ’ne Weiße mit Dreads.
Kannst du verstehen, warum Ronja Maltzahn ausgeladen wurde?

Ja, das kann ich tatsächlich nachvollziehen. Heute kann ich es verstehen. Aber das war nicht immer so. Es bedurfte einer sehr geduldigen BIPoC, die mir das an einem Abend im Yaam vor vielen vielen Jahren erklärt hat, das mit der kulturellen Aneignung. Und warum ich von vielen BIPoC oftmals schief angeschaut wurde, wenn ich selbstverliebt auf den Festivals dieser Republik durch den Schlamm getanzt bin.

Was hat dir die Frau denn damals erklärt?

Puh… das war eine Menge. Eine Menge einleuchtender Gründe und nichtwiderlegbarer historischer Fakten. Es ist peinlich, aber ich bringe es im Einzelnen wirklich nicht mehr zusammen, an dem Abend war auch Alkohol im Spiel, vor zwölf Jahren hab ich mich halt auch manchmal abgeschossen. Aber sie war überzeugend: tags darauf schnitt ich mir die Dreads ab.

Das ist jetzt elf Jahre her und mitunter frage ich mich heute noch, was mich damals geritten hat, neun Jahre lang. Meine Gründe waren seinerzeit rein narzisstischer Natur, ich mochte noch nicht mal Reggaemusik besonders gern. Aber ich hatte sehr dichtes Haar und davon wirklich massig auf dem Kopf, außerdem sagte mir mein damaliger Freund, ein Spanier, Das würde dir bestimmt gut stehen! Ich war schwer verliebt (was für dumme Dinge man aus Liebe tut, ey, Wahnsinn), also begann ich eines Nachmittags – es war 2002 und ich war gerade beruflich in Rüsselsheim, ich weiß es noch ganz genau –, meine Haare zu verfilzen.

Übrigens, an all jene Weiße, die ihre Dreads gern mit Hilfe des Attributs „natürlich“ zu rechtfertigen versuchen – „natürlich“ ist, bzw. entsteht diese Frisur tatsächlich nur bei stark gelockten Haaren. Bei mir mit meinem superglatten klassischen White People Hair war es eine regelrechte Tortur, es überhaupt erst mal hinzukriegen, dass es verfilzt. Glattes Haar verfilzt nicht, jedenfalls nicht auf natürliche Weise. Das verknotet sich im schlimmsten Fall mal, aber das war es auch schon. Und die Ansätze, die selbstverständlich glatt nachwachsen, die müssen halt auch „nachgefilzt“ werden. Vorausgesetzt, man möchte, dass es einigermaßen aussieht. Kurz gesagt: DREADLOCKS SIND FÜR WEIẞES HAAR AUF KEINEN FALL EIN NATÜRLICHER HAIR STYLE, denn wäre er natürlich, würde er von selbst entstehen.

Es gibt diese Fraktion unter Linken, die ab und an mit diesem Meme pseudoargumentiert:

So gern ich hier zustimmen möchte… das kann ich nicht. Weil diese (Schein-)Argumentation wichtige Fakten ignoriert. Dreadlocks sind nicht „einfach nur eine Frisur“, auch wenn quengelige Weißbrotgesichter das nicht wahrhaben wollen, weil ihnen der „wilde“ Look an sich selbst so gut gefällt. Und damit meine ich in erster Linie mich selbst, bzw. den Menschen, der ich damals war. Ich habe „appropriation“ definitiv mit „appreciation“ verwechselt. Dreads sind kein simples Fashion-Statement. Ich mach es mir jetzt mal leicht, weil es BIPoC gibt, die das viel besser erklären können, und verlinke einen Insta-Post, der das fantastisch auf den Punkt bringt. Bee Whitney findet dafür die richtigen Worte, und diese acht Minuten solltet ihr euch wirklich nehmen.

Furchtbar finde ich auch, wenn Leute interviewt werden, in diesem Fall ein interracial couple, und die weiße Frau dann Folgendes sagt: „Denn es wäre auch rassistisch, wenn er wegen seiner Hautfarbe nicht angefeindet werden würde, ich aber schon“, sagt Lea, die seit mehr als zehn Jahren Dreadlocks trägt. Lea hat augenscheinlich überhaupt nichts begriffen, noch nicht mal, dass es kein Rassismus ist, wenn man sie wegen ihrer Frisur kritisiert, ihren Schwarzen Freund Malik aber nicht. Wirklich schade, dass er es ihr offenbar nicht erklärt hat, vielleicht hatten sie Glück und es war noch nie nötig, es zu erklären.

Ich lese auch viele Kommentare in den sozialen Medien, die mich richtig sauer machen. Da wird erzählt, dass Kultur, egal welche, immer auf „Aneignung“ einer anderen Kultur beruht, und dass es nur aus Solidarität und Respekt geschieht, dass man Dreads trägt. Warum mich das sauer macht?
Weil es Weiße sagen. Weil Weiße einfach nie ihr Maul halten können und zu allem eine Meinung haben. Vor allem in Dingen, die sie nicht betreffen. Und ja, ich weiß, dass ich auch weiß bin. Klemmt’s euch einfach. Und schneidet die Dreads ab, ihr seht unmöglich aus, echt.

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