Wie lange noch?

Manchmal frage ich mich, wie lange du das noch durchziehen wirst. Diesen kolossalen Betrug an deinen Kindern und vor allem an dir selbst. Frage mich, wie lange ein menschlicher Körper das aushält, diese jahrelange krasse Vergiftung. Vor allem dein Körper, mit gerade mal 1,60m und 50 kg Gewicht – wobei das heute mit Sicherheit weniger cm und definitiv weniger kg sind.

Ich frage mich, ob du vielleicht schon viel, viel länger im Alk-Sport trainierst, als mir bewusst ist. Vielleicht sind es keine zehn, fünfzehn Jahre, sondern eher fünfzig. Möglich, dass sich das schon vor Jahrzehnten eingeschlichen hat. Blöd, dass ich mich nicht bewusst erinnere, weil das schon so lange her ist und ich das eh nie hinterfragt hab, als Kind schon gar nicht.
Aber stand da nicht immer irgendwie Wein auf dem Tisch? Oder Bier? Papa war ja eher so der Bier-Typ, allerdings in Maßen. Ich kann mich an Wodka erinnern, auf jeden Fall, im Eisschrank lag immer eine Flasche. Wie schnell die leer wurde oder wie oft neu gekauft, keine Ahnung. Aber doch, Alk war ein tägliches Ding.

Neulich war ich bei dir und auf dem Weg dahin ist mir aufgefallen, dass der Getränke Hoffmann bei dir um die Ecke nicht mehr existiert. Ich bin überzeugt, dass du in den letzten vier Jahren, in denen du diese Lüge schon aufrecht erhältst, dort stets selbst für deine Alkoholversorgung gesorgt hast. Ich bin mir sicher, dass du all deine Kraft zusammengenommen und dich aufgerafft hast, schließlich musstest du nur eine einzige, sehr ruhige Straße überqueren, um so viel Wodka zu kaufen, wie dein schwacher, ja ausgezehrter Körper zu tragen imstande war. Denn der Pflegedienst kauft dir den mit Sicherheit nicht. Ich sehe es buchstäblich vor mir, wie du bar zahlst und das Münzrückgeld in die Tasche stopfst. Bei dir im Flur habe ich es die letzten Jahre regelmäßig gesammelt und durfte es dann behalten, genau wie die Bonbons, die du beim Getränkehändler immer dazubekamst. Lag immer alles am Spiegel im Flur. Sechs Flaschen kosten 46 nochwas, das kommt schon hin. Das war früher dein Wochenvorrat. Keine Ahnung, ob du so eine Menge noch packst, aber ich hab immer mal wieder leere, megaschlecht versteckte Flaschen gefunden, seit du diese Theateraufführung begonnen hast.

Keine Ahnung, im wievielten Akt wir gerade sind. Schlimmer ist aber, keiner weiß, wie viele Akte da noch kommen. Zumal wurden wir Kinder nie gefragt, ob wir mitspielen wollen. Das Schlimmste jedoch: auch du kannst nichts für diese Krankheit. Deine Lüge ist reiner Selbstschutz. Du kannst das einfach nicht aufgeben. Für dich ist Totsaufen tatsächlich eine probate und angenehmere Lösung. Ist einfacher, man muss sich nicht ändern. Zu groß deine Angst zu scheitern, zu perfekt die Ausrede, zu alt für so eine Veränderung zu sein. Selbst dass wir Kinder uns von dir distanziert haben, erzeugt nicht genug Ansporn.

Und jetzt? Sitz ich hier und frage mich: Wo kriegst du jetzt deinen Stoff her? Packst du es zum Reichelt? Keine Ahnung. Du wirst einen Weg finden, denn du bist suchtkrank. Hast noch immer einen gefunden.

Du gibst lieber dich auf als deine Sucht.

Und wie sehr mir das wehtut, überwältigt mich immer wieder.

Eine Antwort zu „Wie lange noch?“

  1. Der letzte Satz so wahr, geht direkt ins Herz…mit_fühlende blaue🐘Grüße

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