Manchmal wünsche ich mir, es gäbe ein Fundbüro für verlorenes Vertrauen. Urvertrauen, um genau zu sein. Ich weiß nicht, wann es abhandengekommen ist und frage mich mitunter, ob ich es jemals besessen habe.
Anders als mit nicht vorhandenem Urvertrauen ist die Angst schlicht nicht zu erklären, die ich schon mein ganzes Leben spüre und die mir jetzt auch wieder die Tränen in die Augen treibt. Tränen, für die ich mich sofort wieder schäme. Meine unerbittliche innere Stimnme sagt dann Dinge wie „Stell dich nicht so an!“ oder „Du bist eine erwachsene Frau und benimmst dich wie ein kleines Kind!“
Niemand weiß, wie ich mich wirklich fühle. Niemand würde je auf die Idee kommen, dass es so in mir aussieht. Ich bin gut darin, das meisterlich zu überspielen, stets getrieben von noch mehr Angst, „mich anzustellen“ oder den Ansprüchen, die Menschen in meinem Umfeld an mich haben, nicht gerecht zu werden.
Dabei ist es zunächst einmal völlig wurscht, ob diese Erwartungen tatsächlich von anderen kommen, oder ob ich nur glaube, dass andere sie haben, es also im Grunde meine eigenen Erwartungen sind. Es bleiben Erwartungen, die ich – davon bin ich überzeugt – ohnehin nicht erfüllen kann. Das erzeugt wahnsinnig viel Druck in mir selbst, gefolgt von lähmender Ungeduld und daraus resultierender, meist gegen mich selbst gerichteter Wut. Wohin mit dieser Wut?
Ich gehe hart mit mir ins Gericht, wenn diese Wut kommt und fühle mich selbst so scheiße dabei, dass mir jeder Mensch leid tut, der mich in diesen Momenten ertragen muss. Auf Nachfragen was los sei, reagiere ich mit Abwehr oder Ausreden. Wer versteht das schon? Niemand. Warum also erklären, wie weh es tut, die ganze Zeit Angst zu haben, vor allem. Ich hab sogar Angst davor, dass meine Katze mich nicht liebhat.
Ich habe Angst vor morgen, Angst vor der Stromrechnung, Angst vor Einsamkeit. Vor Osteoporose und Multipler Sklerose, vor den Wechseljahren und manchmal sogar vorm U-Bahn-Fahren. Vor Krebs sowieso. Ich fürchte mich davor, übersehen zu werden, den Witz nicht zu verstehen und den Anschluss zu verlieren. Das war schon immer so.
Lange habe ich geglaubt, die Ursache für der Verlust des Urvertrauens läge in „dem Vorfall im Kindergarten“. Damals hat mich eine Kindergärtnerin in der Umkleide der Turnhalle vergessen, in die wir einmal wöchentlich zum Kinderturnen gingen. Knapp drei Jahre alt war ich wohl laut der Erzählungen meiner Eltern, später kam wohl auch raus, dass besagte Kindergärtnerin alkoholkrank war. Irgendwie habe ich zu seiner Zeit den Weg zurück in die Kita gefunden; und irgendwo in der hintersten Ecke meiner Erinnerung ist auch noch dieses sehr, sehr diffuse Bild, dass ich von Gruppe zu Gruppe gelaufen bin und niemand mich bemerkte, wie ich dort völlig verzweifelt stand.
Sicher war dieses Erlebnis unglaublich traumatisierend, deswegen exisitieren diese Bilder auch noch in meinem Kopf, der lange dunkle Flur der Turnhallenanlage, die Angst, weil kein Erwachsener mehr da war. Mir wird richtig schlecht bei der Vorstellung daran, das Gefühl von damals ist streng genommen nie wieder weggegangen. Mittlerweile glaube ich allerdings, dass es schon da war, bevor das passiert ist. Heute bin ich überzeugt, dass eine unsichere, unstabile Mutter-Kind-Beziehung den Grundstein für meine universelle Furcht vor allem gelegt hat.
Denn, auch wenn das hart klingt, meine Mutter ist eine dieser Frauen, die besser keine Kinder gehabt hätte. Meine Mutter wollte nie Kinder, denn sie hat selbst niemals Mutterliebe erfahren. Sie war eines dieser Kinder, mit dem eine Mutter um die Vierzig nicht mehr rechnet und die ihr Kind das wohl auch spüren lässt. Zumindest ist das der Schluss, den ich aus Erzählungen des ersten Mannes meiner Mutter ziehe. Der hat einen sehr objektiven Blick auf die gesamte Situation, hat meine Mutter als einen Menschen erlebt, der extrem egozentrisch und gleichzeitig sehr unsicher ist. Er erzählte mir, wie groß seine Verwunderung war, als er erfuhr, dass meine Mutter schwanger war (von ihrem zweiten Mann, meinem Vater, mit ihrem ersten blieb sie stets freundschaftlch verbunden). Und heute, als erwachsener Mensch, leuchtet mir so vieles ein, von dem was er sagt.
Natürlich war meine Mutter auch manchmal lieb zu uns. Aber – genau wie ich heute – sie hat immer zu überspielen gewusst, wie es wirklich in ihr aussah. Wie leer, kaputt und lieblos.
Meiner Mutter ging es in erster Linie um sie selbst. Einer ihrer Lieblingssätze, wenn sie sich mal was gegönnt hat, was eigentlich in der Familie hätte besprochen werden sollen, war: „Das steht mir zu!“ Unausgesprochen blieb der wahre Gedanke dahinter: „Ich bringe hier die Kohle nach Hause und geb sie aus, wofür ich will.“ Mama hatte immer teure Schminke im Schrank, Lancôme, Vichy und andere hochpreisige Kosmetika, aber wenn wir Kinder mal Geld für ’ne Klassenfahrt brauchten oder mal ins Kino wollten, hieß es immer „Dafür haben wir kein Geld.“ Mit der teuren Schminke versuchte Mama, das abgrundtiefe Loch in ihrem Herzen zu stopfen, doch so ist das nunmal: Lücken im Herzen lassen sich nicht mit Materiellem schließen. Ich habe das auch versucht, mit teurem Elektronik-Schnickschnack, Schuhen und ausgefallener Kleidung (damit man mich nicht übersieht und wieder in einer Umkleide vergisst), aber erfüllt hat mich das nie.
Allerdings bin ich konsequenter; ich hab keine Kinder, denen ich Dinge vorenthalte, damit ich mir selbst etwas leisten kann. Und meine Katze wird in Sachen Aufmerksamkeit definitiv verwöhnt, jedoch befürchte ich auch hier die ganze Zeit, diesem Tier und seinen Bedürfnissen nicht gerecht zu werden. Achtung, ich möchte auf keinen Fall eigene Kinder mit flauschigen Haustieren vergleichen, mir ist schon klar, dass das zwei grundverschiedene Paar Schuhe sind. ABER, genau wie Kinder, entscheiden auch Haustiere nicht, wo sie letztendlich landen. Es sind die Eltern, bzw. die Tierpaten, die sich entscheiden, die Familie zu vergrößern. Weder Kind noch Katze haben da ein Mitspracherecht. Daher glaube ich schon, dass Eltern und insbesondere Mütter (weil diese Welt leider nach wie vor sehr misogyn und unfair für Frauen ist) ihre eigenen Ansprüche zumindest ein bisschen zurückschrauben sollten, wenn sie sich entscheiden, Kinder zu bekommen.
Mein Vater wollte immer Kinder (und das habe ich auch stets gespürt und es hat vielleicht verhindert, dass ich noch kaputter werde) und ich glaube, meine Mutter hat nur aus Liebe zu ihm Kinder bekommen. Oder aus gesellschaftlichem Druck. Ich habe mir den ganzen Mist ja auch anhören müssen, die Frage „Warum hast du eigentlich keine Kinder? Ist dir deine Karriere wichtiger?“ habe ich zum Schluss immer mit einer genervten Notlüge beantwortet: „Ich hätte gern welche gehabt, kann aber keine kriegen.“ Prompt waren sie still, es ist ihnen zu wünschen, dass sie nach dieser Frage merken, wie intim und persönlich die Frage allein schon ist. Ob sich eine Frau fortpflanzt oder nicht, geht euch einen Dreck an. Männer werden das nie gefragt.
Ich hatte das Glück, dreißig Jahre nach meiner Mutter zu leben, heutzutage kann man als Frau da durchaus drüberstehen, aber auch ich hatte diese Zeit, diese Beziehung, den Typ hätte ich beinahe geheiratet, da hieß es immer „Ja klar, mit dem krieg ich auf jeden Fall Kinder!“ Bekommen habe ich sie nie und das bedeutet eben auch was.
Ich glaube schon, dass Mama sich Mühe gegeben hat, uns Mutterliebe zu geben. Ist halt wirklich schwer, etwas zu geben, das man nicht kennt. Ich glaube auch, dass sie sich einigermaßen bewusst war, dass sie das nicht so gut kann. Das würde zumindest ihre Alkoholsucht erklären (die gesteht sie sich allerdings bis heute nicht ein, sondern sagt, das bisschen Vergnügen stünde ihr zu, ein Engel, wer da nicht zynisch wird).
Mit meiner nicht enden wollenden Angst hilft mir diese Erkenntnis natürlich nicht. Wie soll die das zerstörte Urvertrauen auch kitten? Ich hab keine Ahnung, wie ich das reparieren kann. Gesprächstherapie hab ich schon gehabt, viel Neues hab ich da nicht gelernt. Auch die geduldigen Hinweise meines Partners oder meiner Schwester machen mich nicht zu einem anderen, besseren, weniger ängstlichen Menschen.
Wie soll ich ohne Urvertrauen auf Besserung vertrauen? Worauf soll ich bauen, wenn das bröcklige Fundament von Anfang an nicht stabil genug war und immer wieder wegbricht?
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