Paying my dues

Ein Traumtag. Herrlichster Sonnenschein, 22°C. Ich beschließe, meinen Anflug von schlechter Laune mit einem Ausflug nach draußen zu bekämpfen.

Doch leider ist mein sich bald einstellendes sonniges Lächeln nur von kurzer Dauer. Mein Spaziergang zum Geldautomat (denn eigentlich wollte ich in den Drogeriemarkt) wird zum Horrortrip, denn er spuckt kein Geld aus. Obwohl ich weiß, dass welches drauf ist. Ich probier’s nochmal, mit einem geringeren Betrag. Wieder sagt mir die Maschine: „Sie haben Ihr Limit erreicht.“
Was denn für’n Limit? denke ich noch, schließlich war ich seit Tagen nicht mehr am Automat gewesen.

Ein ungutes Gefühl beschleicht mich, denn ich weiß, dass ich dem Finanzamt noch Geld schulde – ich hatte allerdings schon vor Wochen ein Schreiben rausgeschickt, in dem ich um Ratenzahlung gebeten hatte, jedoch nie eine Antwort erhalten. Mein Briefkasten war fast jeden Tag so leer wie eine U-Bahn nach Betriebsschluss, so leer, dass es mich schon wunderte, warum die sich nicht auf meine Bitte hin meldeten.
Die würden doch nicht einfach, ohne vorherige Ankündigung, mein Konto pfänden?
Mein Herz rast mittlerweile, mir wird heiß, und das liegt nicht an dem guten Wetter.

Während ich also unverrichteter Dinge (kein Cash, keine Einkäufe) wieder nach Hause laufe, versuche ich, nicht in Panik zu geraten. Daheim angekommen, rufe ich erstmal in der Pfändungsabteilung meiner Bank an, und die Dame am anderen Ende der Leitung bestätigt mir diesen Alptraum: „Da ist heute ganz frisch eine Pfändung auf Ihrem Konto. Vom Finanzamt Neukölln.“ Nach einer kurzen Pause sage ich „Aber die haben mich darüber nicht informiert, dürfen die das einfach so? Ohne Bescheid zu sagen?“ und sie sagt mir knallhart: „Das Finanzamt darf so ziemlich alles, was die Bürgerkonten betrifft.“

Das war ein Tritt mitten in die Fresse, und ich schaffe es gerade so, mich zu verabschieden, ohne die Contenance zu verlieren. Die Frau von der Bank bekommt nicht mehr mit, wie ich ausraste. Weil ich das Gefühl von Willkür, Demütigung, Machtlosigkeit und Scham einfach nicht mehr aushalte.

Anstatt meiner Bitte um Ratenzahlung nachzugeben, holt sich das Finanzamt die Kohle einfach. Zack, Pfändung drauf, fertig.

Fakt ist: die Forderung des Finanzamtes ist legitim.
Fakt ist auch: das Finanzamt macht mich gerade berufsunfähig. Ohne Liquidität kann ich nicht in meinem Job arbeiten. Als freiberufliche Dolmetscherin und Übersetzerin muss ich oft von jetzt auf gleich weg, und obwohl ich sämtliche Auslagen erstattet bekomme, bin ich darauf angewiesen, bestimmte Dinge vorstrecken zu können (Zugfahrten, Spesen, etc.), und das ist mir im Moment unmöglich.

Und das, obwohl ich genug Geld auf der Bank habe.

Ich habe alles zusammengekratzt, was ging und gut die Hälfte des geforderten Betrages angewiesen. Ich habe denen das gemailt und geschrieben, anrufen brachte nichts, trotz direkter Durchwahl. Ich werde auch in die Sprechstunde gehen, und dann wahrscheinlich eine Nachtschicht arbeiten müssen, um die verplemperte Zeit wieder reinzuholen.
Ich werde mir dort sicherlich auch die Blöße geben, aber das ist mir scheißegal.

Aber viel schlimmer als über kein Geld verfügen zu können, ist dieses Ausgeliefertsein.
Die entscheiden das einfach, und dann stehst Du da. Mitten auf der Straße und heulst, und bist froh, dass Du eine Sonnenbrille aufhast.
Und dann fühlt man sich so klein, dass man fast verschwindet. Das Gehirn kann nicht mehr denken, und man ist ein einziges Gefühl. Ein sehr sehr beschissenes Gefühl. Und man vergisst, was man eigentlich alles kann und weiß und fühlt sich wie der letzte Loser.
Man bekommt schlecht Luft und die Ohren rauschen.
Man schämt sich in Grund und Boden.

Man weiß nicht, wohin mit der Wut, und das ist das allerschlimmste.

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